München, 18.11.2014 Wenn mit einer für die Feststellung der Vaterschaft erforderlichen DNA-Untersuchung eine Exhumierung des verstorbenen potentiellen Vaters verbunden ist, tritt das postmortale Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen hinter das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner eigenen Abstammung zurück. Das hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe mit Beschluss vom 29. Oktober 2014 (XII ZB 20/14) entschieden. Dr. Anton Steiner, Fachanwalt für Erbrecht in München und Präsident des Deutschen Forums für Erbrecht e.V., erläutert das Urteil:
„Dem Beschluss lag der Fall einer 70-jährigen Frau zugrunde, die nach dem Tod des Mannes, von dem sie glaubte, er sei ihr Vater, dessen Leiche exhumieren und mit Hilfe eines DNA-Tests die Vaterschaft feststellen lassen wollte. Der eheliche Sohn des im Jahr 2011 verstorbenen Mannes verweigerte dies aber. Nachdem das Amtsgericht die Anträge der Frau zuerst zurückgewiesen hatte, bekam sie vor dem Oberlandesgericht Dresden Recht. Diese Entscheidung bestätigte der Bundesgerichtshof.
In der Begründung führen die Richter aus, der Antrag auf Feststellung der Vaterschaft sei zulässig, weil die Angaben der Frau ausreichende Anhaltspunkte für die Vaterschaft enthielten. Die in der DDR aufgewachsene Frau hatte in dem Verfahren vorgetragen, die Mutter habe ihr an ihrem 18. Geburtstag die Vaterschaft des Verstorbenen offenbart. Sie habe sie auch in den Nachkriegsjahren zu dessen Familie in Westdeutschland reisen lassen, wo sie engen Kontakt zu der Mutter des Mannes, ihrer „Oma“, gehabt habe. Bei einem späteren Treffen mit dem Mann sei dieser selbst davon ausgegangen, ihr Vater zu sein. Die Behauptung der Frau, der Verstorbene sei ihr Vater gewesen, sei damit nicht ins Blaue hinein erfolgt, argumentieren die Richter.
Das Recht eines Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung sei sowohl nach der Europäischen Menschenrechtskonvention als auch nach dem deutschen Grundgesetz besonders geschützt, es sei daher gegenüber der Totenruhe des Verstorbenen grundsätzlich vorrangig. Besondere Gründe, die im vorliegenden Fall gegen eine Exhumierung sprächen, gebe es nicht. Zu berücksichtigen sei auch, dass der leibliche Sohn sich geweigert habe, eigenes DNA-Material für die Begutachtung zur Verfügung zu stellen.
Sollte die Frau tatsächlich die leibliche Tochter des verstorbenen Mannes sein, so wäre sie seine gesetzliche Erbin oder – sollte er sie in einem Testament enterbt haben – hätte einen Pflichtteilsanspruch in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Dass die Frau bereits seit langer Zeit über die mögliche Vaterschaft des Verstorbenen informiert gewesen sei und nun vor allem ihr Erbrecht verfolge, spreche nicht gegen ihr Interesse und eine Exhumierung, so der BGH. Das Wissen um die eigene Herkunft sei von zentraler Bedeutung für das Verständnis und die Entfaltung der eigenen Individualität. Dass im Einzelfall bei der Klärung der Abstammungsfrage vermögensrechtliche Interessen im Vordergrund stehen können, ändere daran nichts. Auch stelle die Teilhabe am väterlichen Erbe ein legitimes Interesse eines leiblichen Kindes dar.
Gesetzliche Erben und Pflichtteilsberechtigte sind im deutschen Erbrecht leibliche und adoptierte Abkömmlinge eines Verstorbenen. In Fällen wie den vorliegenden, in denen die Vaterschaft ungeklärt ist, muss zunächst die Abstammungsfrage geklärt werden, bevor festgestellt werden kann, wer Erbe geworden ist bzw. Anspruch auf den Pflichtteil hat.“
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