Bundesverfassungsgericht zur Erbschaftsteuer: Analyse des Urteils und seiner Konsequenzen für die Politik
I. Kernthesen des Urteils
- Familienunternehmen durch Steuerbefreiungen zu schützen, ist ein legitimes Ziel der Politik. Die Verschonung kann auch vollständig sein, also eine Steuerbefreiung zu 100 Prozent.
- Die Steuerverschonungen müssen aber an Bedingungen zum Arbeitsplatzerhalt geknüpft werden, die bisherige Regelung über den Erhalt einer bestimmten Lohnsumme für fünf oder sieben Jahre ist im Grundsatz weiterhin zulässig.
- Auch kleinere Unternehmen müssen sich den Bedingungen zum Arbeitsplatzerhalt unterwerfen, damit sie die Steuerverschonung erhalten. Die bisherige Ausnahme für Betriebe mit nicht mehr als 20 Beschäftigten ist verfassungswidrig, aus Vereinfachungsgründen kann auf eine Lohnsummenpflicht allenfalls bei Betrieben mit „einigen wenigen Beschäftigten“ verzichtet werden.
- Große Unternehmen dürfen von der Steuer nur verschont bleiben, wenn dies im Einzelfall erforderlich ist, um den Fortbestand des Unternehmens nicht zu gefährden.
- Verwaltungsvermögen, also Vermögen, das nicht direkt dem Unternehmen dient, ist ohne Verschonung zu besteuern.
II. Die Politik hat die Wahl
Das Bundesverfassungsgericht fordert nicht, dass das bisherige System des Erbschaftsteuerrechts aufrecht erhalten bleiben muss. (Dies wurde auch bei der mündlichen Urteilsverkündung vom Vizepräsidenten des Gerichts betont.) Die Politik hat im Grundsatz zwei Möglichkeiten:
- 1. Große Reform
Die Steuersätze werden für alle gesenkt. Dadurch entschärft sich bei der Unternehmensnachfolge automatisch das Problem, dass Unternehmen in ihrem Bestand gefährdet sein könnten. Verbleibenden Liquiditätsproblemen des Unternehmenserben wird dadurch Rechnung getragen, dass er die Erbschaftsteuer in Raten aus dem laufenden Ertrag aufbringen kann.
Dies wäre die einfachste Lösung:
- Es gibt kein Gleichbehandlungsproblem mehr zwischen Privat- und Betriebsvermögen.
- Daher gibt es auch keine Abgrenzungsprobleme mehr.
- Komplizierte Regelungen über die Kontrolle von Bedingungen zur Erlangung eines Steuerprivilegs wie Lohnsummenklausel etc. entfallen.
- Das Steueraufkommen bleibt mindestens gleich, weil alle Vermögensarten ihren Beitrag zur Erbschaftsteuer leisten.
- 2. Kleine Reform
Von Seiten der Großen Koalition wurde betont, dass man an dem bisherigen System von Steuersätzen und Ausnahmen festhalten will. Dies wird nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sehr komplizierte Regelungen erfordern, die die Verwaltung und den Steuerbürger zusätzlich sehr stark belasten werden.
III. Schwierigkeiten der „kleinen Reform“
Wenn die Politik bei einer kleinen Reform die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen will, stellen sich folgende Probleme:
- 1. Abgrenzung „groß“ und „klein“
Für große Unternehmen fordert das Bundesverfassungsgericht verschärfte Spielregeln. Wo liegt die Grenze?
Das Bundesverfassungsgericht gibt dem Gesetzgeber im Urteil (Rz. 174) einen „Tipp“: Hiernach könnte der Gesetzgeber als „groß“ Unternehmen einstufen, die mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigen und entweder einen Jahresumsatz von über 50 Mio. EUR oder eine Jahresbilanzsumme von über 43 Mio. EUR aufweisen.
Aber dann steht der Gesetzgeber schon wieder vor dem nächsten Problem: Wie kann verhindert werden, dass „zu große“ Unternehmen aufgespaltet werden, um doch steuergünstig weitergegeben zu werden.
- 2. Bedürfnisprüfung
Auch die Weitergabe großer Unternehmen kann nach dem Bundesverfassungsgericht von der Steuer verschont bleiben, wenn dies nötig ist. Aber wann ist dies der Fall? Folgende Kriterien kommen in Betracht (Urteil Rz. 175):
- Ertragskraft des Unternehmens
- sonstiges Vermögen, das durch Erbschaft oder Schenkung überging
- eigenes Vermögen des Erwerbers, aus dem er die Steuer zahlen könnte. Wenn der Erwerber beispielsweise eigene Immobilien oder ein eigenes Unternehmen hat, dann müsste auch dieses bewertet werden!
- 3. Lohnsummenkontrolle
Auch kleinere Betriebe müssen der Lohnsummenkontrolle unterworfen werden, nur für Kleinstbetriebe kann es Ausnahmen geben, die Grenze dürfte bei höchstens fünf Beschäftigten liegen.
- 4. Verwaltungsvermögen
Verwaltungsvermögen, also Vermögen, das nicht dem Betrieb unmittelbar dient, muss voll besteuert werden. Damit stellt sich das Abgrenzungsproblem: Was dient dem Unternehmen und was nicht? Insbesondere darf doch kein Unternehmen bestraft werden, weil es Rücklagen für schwierige Zeiten bildet.
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