München, den 18.12.2014 Politiker der Großen Koalition haben als Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer betont, sie wollen das bisherige Erbschaftsteuersystem beibehalten und das Urteil durch Detailkorrekturen umsetzen.
Dass dies die bei weitem schlechteste Lösung wäre, zeigt eine Detailanalyse des Urteils anhand eines Beispielsfalls.
Beispiel:
Unternehmer U hat einen Autozulieferbetrieb, den bereits sein Vater gegründet hatte, erfolgreich ausgebaut und will ihn nun an seinen Sohn S weitergeben. Der Marktwert des Unternehmens beträgt 200 Mio. EUR, bei einem Umsatz von 150 Mio. EUR und 500 Mitarbeitern.
I. Bisheriges Recht
Wenn der Sohn S nach der Unternehmensübergabe den Betrieb sieben Jahre lang mehr oder minder unverändert fortführt, fällt keine Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer an. Wer hingegen als Sohn anderes Vermögen, beispielsweise Gewerbeimmobilien im Wert von 200 Mio. EUR, erhält zahlt hierfür 60 Mio. EUR Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer. Es liegt auf der Hand, dass dieser hohe Besteuerungsunterschied mit dem Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung kollidiert, ein Besteuerungsgrundsatz, der aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung (Artikel 3 Grundgesetz) resultiert. Daher verwundert es nicht, dass das Bundesverfassungsgericht diese Regelung verworfen hat und dem Gesetzgeber Folgendes ins Hausaufgabenheft geschrieben hat:
- Er darf zwar zum Schutz des Unternehmens und der damit verbundenen Arbeitsplätze eine Steuerverschonung gewähren, sogar bis zu 100 Prozent.
- Dies müsse aber bei großen Unternehmen an eine Bedürfnisprüfung im Einzelfall geknüpft werden.
II. Gestaltungsmöglichkeiten der Politik
Was bedeutet dies für den konkreten Beispielsfall?
1. Keine Verschonungsregelung
Die Politik könnte das bisherige Recht lassen, indem es einfach die Verschonungsregelungen für große Unternehmen streicht. Wo in etwa die Grenze zu ziehen ist, hat das Gericht in seinem Urteil (Rz. 174 des Urteils) angedeutet:
bei Unternehmen, die 250 Arbeitnehmer oder mehr beschäftigen und die einen Jahresumsatz von mehr als 50 Mio. EUR erzielen oder deren Jahresbilanzsumme über 43 Mio. EUR liegt.
Im Beispielsfall müsste S dann den Steuersatz von 30 Prozent auf den Wert des Unternehmens bezahlen, also 60 Mio. EUR.
Selbst wenn er dies, beispielsweise durch Kreditaufnahme, finanzieren könnte, wäre sein Spielraum, in das Unternehmen zu investieren, für lange Jahre stark eingeschränkt. Gelingt es ihm hingegen nicht, die Steuer zu finanzieren, so bleibt ihm nur ein Verkauf von Anteilen, beispielsweise an einen Hedgefonds. Dabei wird häufig vergessen, dass es nicht genügen würde, 30 Prozent der Anteile zu verkaufen, weil er auf den Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf von Anteilen Einkommensteuer entrichten muss. Der Veräußerungserlös wird also zunächst um die Einkommensteuer geschmälert und steht dann erst für die Begleichung der Erbschaftsteuer zur Verfügung.
Sowohl die Schwächung der Investitionskraft als auch der erzwungene Verkauf eines Familienunternehmens steht nicht im gesamtwirtschaftlichen Interesse. Dies dürfte ein breiter politischer Konsens sein, weshalb diese Gestaltungsmöglichkeit für die Politik praktisch ausscheidet.
2. Neue Verschonungsregelungen
Dies ist der Weg, den die Große Koalition beschreiten möchte. Aber auch er ist tückisch:
Um bei Erbe oder Schenkung größeren Unternehmen Steuerverschonung gewähren zu dürfen, muss der Gesetzgeber nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Rz. 175 des Urteils) in eine Einzelfallprüfung der Verschonungsbedürftigkeit eintreten. Was bedeutet dies konkret im Beispielsfall?
Erstens hat dann die Finanzverwaltung zu überprüfen, ob der Erwerber, also S, bei Erbschaft oder Schenkung noch weiteres Vermögen, beispielsweise Geld oder Immobilien erwirbt, aus dem er die Steuer aufbringen könnte. Im Erbfall lässt sich dies noch relativ leicht überprüfen, weil dieses Vermögen ohnehin erfasst und bewertet werden muss. Aber selbst dann lauern weitere Komplikationen: Was ist, wenn der Erwerber, hier S, eine Schwester hat, der der Vater das erhebliche Privatvermögen hinterlässt. Wird dann auch dieses Vermögen in die Betrachtung einbezogen?
Noch schwieriger wird es bei gestaffelten Schenkungen: S erhält zunächst das Unternehmen isoliert geschenkt und dann in einem zweiten Schritt das erhebliche Privatvermögen oder er erbt es. Ist beides gemeinsam zu betrachten? Binnen welcher Zeitspanne?
Zweitens gibt das Bundesverfassungsgericht vor, dass bei der Prüfung der Verschonungsbedürftigkeit auch zu berücksichtigen ist, ob der Erwerber schon eigenes Vermögen hat, welches er für die Bezahlung der Steuer veräußern oder belasten könnte. Im Beispielsfall bedeutet dies, dass zu prüfen wäre, welches Vermögen S hat und wie dieses zu bewerten ist (Immobilien, ein etwaiges eigenes Unternehmen etc.). Es liegt auf der Hand, dass dies im Einzelfall ein erheblicher zusätzlicher Aufwand für den Steuerbürger wie auch für die Finanzverwaltung ist.
Drittens wird bei der Prüfung der Verschonungsbedürftigkeit die Ertragskraft des Unternehmens eine wichtige Rolle spielen. Die Finanzverwaltung muss also eine Prognose anstellen, wie die Gewinnsituation des Unternehmens in den nächsten Jahren aussehen könnte. Denn bei einem renditestarken Unternehmen wird es dem Erwerber eher zuzumuten sein, die Steuer aus den laufenden Erträgen aufzubringen.
Eine solche Prognose ist schwierig genug, bei komplex aufgestellten Unternehmen mit Schachtelbeteiligungen, Auslandstöchtern, Gewinnabführungsverträgen, auslaufenden Patentrechten etc. ist diese Aufgabe der Unternehmensbewertung hochkomplex und wird erhebliche Kapazitäten sowohl auf Seiten der Steuerberatung der Unternehmen als auch bei der Finanzverwaltung binden.
Und was soll gelten, wenn sich die Prognose als nicht richtig herausstellt? Soll dann in das Gesetz ein Anpassungsanspruch der Finanzverwaltung einerseits und des Steuerbürger andererseits eingebaut werden? Betrachtet man die Möglichkeiten im Detail, so werden die Komplikationen immer größer.
Viertens kommt hinzu: Ist die Prognoseunsicherheit schon schlimm genug, so gibt es als weitere Unsicherheit die Wertungsfrage: Hat man alle erforderlichen Daten erhoben, so stellt sich die Abgrenzungsfrage, wieviel an Steuern dem Unternehmer zugemutet werden können und für wieviel Verschonung gewährt werden soll. Wieviel bei einem ertragsstarken Unternehmen, also einerseits für die Erbschaftsteuer abfließen kann und andererseits für Investitionen dem Unternehmer belassen werden soll. Intensive Streitigkeiten mit der Finanzverwaltung wären hier geradezu vorprogrammiert. Der Unternehmenserbe wüsste auf Jahre hinaus nicht, wieviel an Erbschaftsteuer auf ihn zukommt.
Dieses neue Verschonungsmodell nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts würde also bedeuten:
- enormer Personalaufwand für Unternehmen und Finanzverwaltung,
- entsprechende Kosten,
- Planungsunsicherheit.
Die Reaktion betroffener Unternehmerfamilien ist klar. Auf sie würde ein solches Modell einen enormen Steuervermeidungsdruck ausüben: Flucht ins Ausland (Österreich kennt bekanntlich keine Erbschaftsteuer mehr), Ausweichkonstruktionen über ausländische Holdingstrukturen oder Ähnliches.
Damit wäre niemandem gedient, weder dem deutschen Fiskus noch der deutschen Volkswirtschaft.
III. Große Reform
Der Gesetzgeber könnte das Urteil nutzen, um das Erbschaftsteuerrecht grundlegend zu reformieren. Die Steuersätze werden gesenkt (beispielsweise auf fünf bis zehn Prozent), zugleich zahlen aber alle Vermögensarten diese Steuer, gleichgültig, ob Betriebsvermögen oder Privatvermögen. Ein solches Modell hat beispielsweise bereits 2011 der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof gerechnet und vorgeschlagen. Dem Fiskus würden dabei keine Einnahmen entgehen, sondern es wären sogar Mehreinnahmen zu erwarten. Verfassungsrechtliche Probleme gäbe es nicht, da alle Erben gleichbehandelt werden.
Im Beispielsfall würde dies bedeuten, dass S eine Steuer von 20 Mio. EUR zu entrichten hätte. Für eine Substanzsteuer, die, wenn der Steuerpflichtige die Substanz nicht angreifen will, aus versteuertem Einkommen bezahlt werden muss, ist dies immer noch ein erheblicher Betrag, zugleich eine verlässliche Einnahme für den Fiskus.
Andererseits ist die Steuerhöhe noch so erträglich, dass sich Umwegkonstruktionen oder gar ein Wegzug ins Ausland nicht lohnen. Der Steuervermeidungsdruck wird also stark reduziert, was ebenfalls zu einer Erhöhung des Steueraufkommens führt. Um insbesondere bei renditeschwachen Unternehmen die Liquidität zu schonen, wird zusätzlich vorgesehen, dass die Steuer über zehn Jahre verteilt in jährlichen Raten gezahlt werden kann. (Eine Regelung, die dann aus Gleichheitsgründen auch für andere Vermögenswerte, beispielsweise Immobilien, gelten sollte.)
Die Vorteile dieses Modells liegen auf der Hand:
- Privatvermögen wird geringer besteuert, dadurch werden auch Bewertungsstreitigkeiten entschärft, weil es sich bei geringeren Steuersätzen nicht mehr lohnt, bis aufs Messer um die Bewertung, beispielsweise einer Immobilie, zu streiten.
- Unternehmenserben haben eine sichere Kalkulationsbasis, ohne auf unsichere Verschonungsvorschriften hoffen zu müssen.
- Der Fiskus kann zumindest mit gleichbleibenden, eher sogar steigenden Einnahmen rechnen.
- – Die Finanzverwaltung spart erhebliche Kapazitäten, die sie anderweitig, beispielsweise zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs einsetzen kann.
- – Die Allgemeinheit sieht sich nicht dem Gerechtigkeitsproblem ausgesetzt, dass viele Steuern zahlen und manche nicht, weil es ihnen gelingt, sich in die Verschonungsregeln zu flüchten.
Nachteil des Modells:
- Es gibt den Punkt, dass der Staat auf eine höhere Besteuerung großer Vermögensübergänge verzichtet, was manche, je nach politischer Ausrichtung, als Nachteil empfinden. Bei näherer Betrachtung des Steueraufkommens ist dies aber nur ein Nachteil theoretischer Art, denn in der Praxis gibt es gerade bei großen Vermögen zahlreiche Fluchtkonstruktionen, nicht zuletzt ins Ausland, die sich in einer globalisierten Wirtschaft auch nicht wirksam verhindern lassen. Hohe Steuersätze sind daher bloße Theorie und haben nur schädliche Auswirkungen, ohne dem Gemeinwesen Einnahmen zu verschaffen.
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